20 Juli 2012

Concerted

Wer durch Zufall über sie stolpert, findet ein Foto von fünf jungen Männern im Jackett. Als Hintergrund des Internetauftritts dient Omas Tapete, während ein Grammophon das Grundmotiv fürs Band-Logo bildet. Außerdem stößt der geneigte Musikforscher auf ein Video, in dem Jonas, Clemens, Simon, David und Tobias die Freundschaft besingen: eher poppig, eher mit schon ziemlich guter Laune, eher auf Englisch, das Deutsche Ohren mühelos verstehen, eher eine Band aus dem Norden – unmissverständlich, das wird klar, wenn die Insel Rügen und das Getränk Jever im Clip auftauchen. 

Sie nennen sich Concerted und kommen aus Lübeck. Streifzüge durch Youtube und Soundcloud bringen in Zeiten der Reizüberflutung nur unbefriedigende Suchergebnisse. Auch unser letzter Strohhalm, Amazon, findet nichts. Bei einer intensiveren Lektüre der Internetpräsenz fällt auf: Concerted sind reichlich exklusiv für ihr Alter. Das muss man den Anfang-Zwanzigern von vornherein zugute schreiben. Damit ihr Début-Album FLOW WITH THE SOUL den Weg zum heimischen Briefkasten findet, muss schon persönlicher Mailkontakt zu einem der Bandmitglieder herrschen.

Fündige seien trotz dieser Holprigkeiten in der Datenträgerbeschaffung und ob des persönlichen Kontakts zur Band enttäuscht, denn heute ist man nicht mehr der erste Concerted-Hörer. Das jedenfalls belegt die übersichtliche Sammlung von Pressestimmen auf der Homepage. Da ist von Kaufbefehlen und süßem Optimismus die Rede, von feinem Pop und Jazz mit Funk. Jeweils prisenweise. 

Nein, es nützt nichts, wir müssen die CD schon einlegen, die Musik schon hören, die schriftsprachliche Genre-Einordnung jetzt zurückstellen und das Ohr hören lassen. Und nach ein, zwei, drei Musikstücken, wenn die vergleichsweise seichte Einleitung mit Friends schon lange abgeklungen ist, fällt den Zwanzigjährigen Zuhörern zwischen besonders angenehmen Saxophon- und Klavierklängen, die gerne auch durch Arrangements mit einer akustischen Gitarre abgelöst werden, auf, dass die absolute Zeitgenossenschaft zu den Musikern etwas ganz besonderes überzeugt: Identifikation.


In Love ist neben Friends das einzige bei Youtube veröffentlichte Musikstück von Concerted. Es erzählt die Geschichte von einem verliebten jungen Mann, der sich trotz lauter Träumerei mit der Realität abfinden muss: Sie interessiert sich nicht für ihn. Wer die Musik weniger über den Text begreifen möchte, findet hier für vier Minuten einen entspannten Lounge-Sound.

Zwischen exzessivem Gitarrenspiel und Sprechgesang lagert Farewell eine universelle Botschaft, die es bis zum Titelslogan des Albums gebracht hat. Zur Geschichte: der Abschied von zuhause; einem zuhause, das wir als heimatlich und beschützend empfinden. Da will jemand nicht gehen – und das singt er auch. Er hat keine Wahl, ihn ziehen ganz besondere Kräfte an einen neuen Ort. Wir sollen es ihm gleichtun: Flow with the soul of the universe lautet die Aufforderung. Aber wie schwimmt man mit der Seele des Universums? Und was ist die Seele des Universums? Schaffen wir uns zu allererst Klarheit darüber, wovor uns diese Lebensausrichtung bewahren soll: der Fluss als sich permanent wandelndes Medium darf als Synonym für den Menschen begriffen werden, der eben nicht in jungen Jahren schon zum Konservator werden darf, sondern die Lebensstufen im Sinn von Hermann Hesse frohen Mutes emporsteigt. Schwieriger wird es bei der Seele des Universums. Eine Assoziation mit dem Sinn des Lebens sei erlaubt, aber wer an die Eintracht des Großen und Ganzen dabei denkt und sich ein harmonisches Bild allen Seins vorstellt, könnte genauso richtig oder falsch liegen. Die Aufforderung bedarf immer – und so viel steht fest – eines gewissen Anteils aus dem Weltbild des Empfängers, ohne den sie wertlos wäre. Auch nicht auszuschließen ist: Geh doch Deinen Weg, den das Universum für dich vorgesehen hat! Mir ist diese Sichtweise zu deterministisch, aber wenn man sich vom Strom des Universums treiben lassen soll, wird das Subjekt zur Passivität aufgefordert, aufgefordert auch dazu, sich den undefinierbaren Kräften zu beugen und keinen Widerstand zu leisten. Schlussendlich bleibt für den Moment aber nur die permanente Veränderung aller Umstände, symbolisiert durch den Fluss, dessen Ziel wir nicht ausmachen können, wenn wir uns von ihm treiben lassen. Ein Schritt in Richtung Einklang mit dem Kosmos? Warum nicht!

Concerted bleibt in der Bewegung: In Walking geht das lyrische Ich einen Weg. Jazzig erzählt, mit einer großen Portion Entschlossenheit, Feingefühl und dennoch ohne Kitsch. Der Stoff ist darüber hinaus so facettenreich, dass sich mehrere Versionen des Liedes anbieten. Ich erwarte Walking III und IV. Doch zum Inhalt: jemand geht, nur, um davon eine Pause zu machen, nur, um danach weiterzugehen. Währenddessen braucht er weder Freunde, noch hat er Feinde, möchte nichts hören und läuft Barfuß, mit der Erde unmittelbar verbunden. Daraus zieht das lyrische Ich einen positiven Schluss: es macht sich nicht zum Idioten, wie all die anderen. Wieso sind wir denn in seinen Augen Idioten? Lieddichter Jonas Nay kommt nicht umhin, uns die Antwort auf die Nase zu binden: Wir geben Geld für Zugreisen aus und fahren Autos. Die Person in seinem Text hat weder ein Auto, noch Geld für den Zug und läuft sogar bei Regen, tags wie nachts. Damit lebt sie absolut entschleunigt und beruft sich auf einen naturnahen Zustand.

Verzicht auf Luxus
Verzicht auf Schuhe
Verzicht auf Gesellschaft
Verzicht auf Zeitmessung
Verzicht auf Geschwindigkeit
Verzicht auf Zwischenmenschlichkeiten

Resümiert: Walking ist die Rückbesinnung auf das Selbst, die Askese und fetischisiert den Weg als Ziel. Unterwegssein reicht sich selbst für ein erfülltes Dasein aus.

And I beginnt mit akustischem Gitarrenspiel, zu dem sich ein Klavier gesellt. Der Inhalt des Songs steht im Gegensatz zur Einsamkeit von Walking.  Die Suche nach einem gleichgesinnten Menschen ist zentrales Thema. Concerted werden hier autobiografisch und stellen sich vor, dass ihr lyrisches Ich mit einer Person in Kontakt kommt – vorzugsweise weiblich – , die genau so gern Musik macht und genau so gern ihre Zeit in der Natur verbringt; auf der Suche nach Freiheit. Das Resultat: Beide lassen ihre Musik zusammenfließen, beide fühlen sich zuhause, keiner der beiden ist allein. Damit nimmt And I das Heimatsthema aus Farewell wieder auf. Hat dort das Individuum zugunsten des dauerhaften Flusses seine Heimat aufgegeben, findet es in And I sein Zuhause wieder, das weniger mit einem Ort, als vielmehr mit einem Mitmenschen verknüpft ist, der ein gemeinsames Schaffen, ein gemeinsames Glück ermöglicht.

Technisch bringen die fünf Jungs aus Lübeck ihre Musik auf den Punkt. Der Zufall als kreativer Faktor scheidet bei diesem Studioalbum erwartungsgemäß aus, denn alle Bandmitglieder sind professionelle Musiker, für ihr Können ausgezeichnete Preisträger und Soundforscher. Das erzeugt einerseits überzeugenden Pop, der mit Funk- und Jazzeinflüssen für eine eigene Note sorgt und durch Simon Kühls teilweise vom Soul geprägten Saxophonstil aufgebrochen wird; andererseits muss sich die technische Perfektion dem Vorwurf aussetzen, dass sie den Klang bisweilen auch rund schleift und dort steril erscheinen lässt, wo der Zuhörer insgeheim auf dreckige Klangextasen hofft. 

Wer auf den Geschmack gekommen ist und wem das Début-Album und die zurückhaltende Präsenz im Internet nicht ausreichen, kann das nächste Concerted-Konzert im August in Lübeck besuchen. Die Termine sind rar gesät, Concerted spielt ausnahmslos in den nördlichen Teilen der Republik. Würden sie ihre livemusikalischen Aktivitäten auf größere Teile des Bundesgebietes ausweiten, ist den fünf Musikern eine weitreichende Bekanntschaft ihres Bandprojekts sicher. Das lässt hoffen: Während eines Radio-Interviews im April lies Jonas Nay wissen, dass die Band derzeit an ihrem zweiten Album arbeite. Ich bin gespannt – und dann gewiss ein Ersthörer.