Manchmal gibt es noch diese Momente: Das Radio läuft, die
Musikredakteure machen ihre Sache gut, und schon hört man eine Musik, die den Ohren fernab
des Mainstreams sehr wohltut, zum Wetter und zur eigenen Stimmung passt.
Grundsätzlich gibt es diese Momente nur bei Deutschlandradio Kultur. Erst
vorletzte Woche ist das wieder einmal passiert.
Die Anmoderation versprach mir eine neue
Alternative-Hoffnung aus Kanada. Derweil seien die fünf aus Montreal stammenden
Musiker von The Loodies mit ihrem Début-Album Edgy Ground auf Deutschlandtour.
Anschließend lauscht der Zuhörer der Musik. Wenn sie ihm gefällt, merkt er
sich die Uhrzeit. Später liest er aus der Playlist des DRadios den Interpret- und Songname ab - oder er vergisst es.
Diesmal habe ich es nicht vergessen.
Ob es Eintrittskarten zu kaufen gäbe oder was denn der
Eintritt koste, frage ich am folgenden Montag in einem kleinen Osnabrücker
Café. Der Kellner sieht mich an – etwa genauso, als er mir zwei Minuten später
offenbart, er habe keinen kubanischen Rum für meinen Cuba-Libre – und meint, er
würde hinterher einen Hut rumgehen lassen. Und wie es uns dann gefallen hätte,
könnten wir eben mehr oder weniger reintun. Nur müssten wir uns ohnehin noch
etwas gedulden: Die Band äße derweil dort drüben. Er zeigt quer durch den Raum.
Florian und ich sitzen am Nachbartisch; in unmittelbarer
Nähe zu dem Teil des vergleichsweise kleinen und stark bebilderten Raumes, der
als Bühne dienen soll, die Band aber um keinen Zentimeter über uns stellt: Der
Boden ist eben. An der Wand ein Klavier. An der Decke eine Lampe: geschwungen,
raumgreifend. Der Weg zum WC: rechts an den Musikern vorbei.
Zurückhaltung ist in ihre Gesichter geschrieben. Mein
Billig-Rum-Cola-Gemisch scheint seinen Preis nicht wert, aber in Kombination
mit drei Strohalmen minimalen Durchmessers in den Farben grün, gelb und rot,
lenkt es davon ab, dass die Küche schon geschlossen hat. Die unter-zwanzig-jährigen am
Nachbartisch wurden vom Kellner – ihm scheint der Veranstaltungsort zu gehören
– gefragt, ob sie nicht kurz ein paar Worte über sich verlieren könnten. Wo sie
herkämen, und all diese Dinge. Das letzte Brotstück wird durch
die Flüssigkeit auf dem Teller gezogen. Es fällt eine eher ablehnende Antwort,
die ihm sichtbar missfällt: Spielen in den Staaten und sind auf Deutschlandtour
und –, das sagt er zumindest einem anderen Gast. Nein, dann wollen sie halt
nicht.
Zu viele Jugendliche tragen Justin Bieber-Frisuren. In der
Regel sind diese Frisuren mit einer regelmäßig auftretenden Kopfbewegung
einhergehend, die darauf abzielt, das träge Haarmaterial aus dem Gesichtsfeld
zu schleudern. Der Frisurnamensbegründer selbst, war indes intelligent genug,
nicht mehr so aussehen zu wollen, wie all seine Fans. Ludovic Alarie hat die
Justin Bieber-Frisur – bei uns wäre sie vor zehn Jahren als Sonderform des
Pottschnitts durchgegangen – längst hinter
sich gelassen. Längeres dunkles Haar liegt vor seinen Augen, als er Gitarre
spielt und singt. Ludovic ist der Kopf der Band. Er steht ganz vorne. Auf der
linken Seite fällt der Gitarrist Jérémy Delorm vor allem dann auf, wenn er sein
Instrument durch eine Trompete eintauscht. Ludovics Gesang verstummt dann. Dass
alle Augen auf den Blechbläser in seinem grün-gelb-schwarzen Pullover wandern,
bekommt der indes gar nicht mit. Nach dem schlagzeug- und gitarrenbasierten
Einstieg vom Titelsong Hidden Youth
holt er uns zurück auf den Boden. Dazu hält
er die Augen geschlossen.
Zuvor hatte aber jeder schon die Begegnung mit Ludovics
Stimme gemacht: Wenn er noch zwei Oktaven tiefer singen würde… - Florian hat Recht.
Ludovic singt eher hoch, manchmal sogar sehr hoch. Aber ich hätte vermutlich
Recht, und das gehöre einfach dazu. Und vom Sound her, da gab es keine Zweifel,
spielen The Loodies, was russisch ist und ‚Die Leute‘ bedeutet, ganz oben mit.
Zur hohen Stimme schleicht sich unterdessen auch eine gewisse Zerbrechlichkeit.
Sie muss wohl dafür verantwortlich gemacht werden, dass mindestens ein
Instrument aussteigt, sobald er singt. Andernfalls fällt der Gesang in eine
Funktion zurück, die hauptsächlich den instrumentalen Sound unterstützt –
Selbst das findet in den Stücken teilweise Verwendung.
Hinter Jérémy sitzt Lysandre Ménard am Klavier. Sie kündigt
alle Stücke an. Erklärt uns, dass auch neue Kompositionen dabei sind, die nicht
auf dem Album zu finden sind. Manches Stück sei so neu, dass es dafür noch
keinen Text gibt. Das verrät einiges über die Arbeitsweise der Musiker: Der
Klang steht am Anfang. Und er sitzt jedes Mal. Als zweite Stimme ist Lysandré
überdies öfter zu hören: Nicht nur, um Ludovic in den ganz hohen Lagen zu
unterstützen, sondern auch, um dann und wann einen feinen Klangteppich
auszurollen. Für nichts anderes steht Phillipe L’Allier an seinem Bass, während
Sasha Woodward-Gagné am Schlagzeug den Puls der Loodies bestimmt. Natürlich nur
so lange, wie keine Arrangements aus Klavier und akustischer Gitarre angesagt
sind.
The Loodies beschreiben ihren Klang selbst am besten: Es ist
eine stimmungsvolle, erwachsene Musik. Sie entsteht durch die Kombination
farbenprächtiger akustischer Gitarrenmelodien und wird durch einen feinfühligen
Gesang genauso untermalt, wie auch durch ein Keyboard, elektrische Gitarren und
Blechblasinstrumente. Dadurch erzeugen sie so etwas wie ein zeitgenössisch-orchestrales
Werk, das sich gleichzeitig seine Beschaulichkeit erhält.
Wie ich bereits oben angedeutet habe, sind The Loodies keine
Band, die viel reden möchte. Eher
möchten sie sich selbst lauschen. Ludovic
geht dabei als Frontmann so weit, dass er sich meistens seinen Bandmitgliedern
zuwendet und den Blick von seinem Gitarrenspiel nur dann erhebt und auf das
Publikum richtet, wenn seine Stimme gefragt ist. Noch weniger kann niemand
inszenieren. Diese Art und Weise des Musizierens, des aufeinander Achtgebens,
ist dann auch nichts weniger als der ausschlaggebende Grund für den großartigen
Sound aus Montreal.
Abschließend kaufe ich das Début-Album Edgy Ground in
gebrochenem Englisch. Lysandre bedankt sich in gebrochenem Deutsch und
verschenkt Tourplakate. Osnabrück war die einzige Show in Niedersachsen. Bis
zum nächsten Deutschlandbesuch muss also die kürzlich hierzulande
veröffentlichte CD herhalten – Verfeinert mit Streichern und hervorragend
produziert, sollte das nicht sonderlich schwerfallen.