Bufdi-Zeit,
Umgehungsstraße bei BS, wie wir es in die Fahrtkladden Schreiben. DKultur im Golfradio.
Eine Band, sagt er, die schon länger besteht, aber erst jetzt ihr Début-Album
veröffentlicht hat. Merkwürdige Musik, bei der die Band aber doch jedes Mal
einen Runden Titel anbiete. A Capella, Elektro, Rock, Sprechgesang – ein Song
endet nie, wie er begonnen hat, nimmt immer eine unvorhergesehene Wendung. Man
könne sie am besten als keine richtige Rockband beschreiben.Worte verebben, sie
spielen den nächsten Titel.
tra la, la tra la, tra a la | seltsamer A Capella-Einstieg
la, tra la,
tra a la, la tra la | wird
vom Schlagzeug untermalt
in your
snatch fits pleasure, | hohe Stimme zerreißt Monotonie der Lautmalerei
broom-shaped pleasure |
Bass löst Stimme ab
Das
Autoradio krächtzt vor Lautstärke: altes Fabrikat, schlechter Empfang.
Stift
kritzelt, als das Auto steht, ins Notizheft:
Fitzpleasure
ist vorbei, Alt-J hat das Radio verlassen, aber mein Ohr nicht. Die vier Kunst-
und Literaturstudenten aus Leeds brennen sich mir in den Kopf, mit Texten aus
verhackstückter Literatur und Filmen; zu Klängen, Klängen, Klängen, bei denen
alle Schubladen zugleich aufspringen und verschlossen bleiben.
Leon, gib uns ein Δ
|
Alt-J – das
ist ein Tastenkürzel. Die englische Mac-Tastatur erzeugt damit ein Delta. Für
die Band zwar erkennungsmerkmal, doch nicht allzu bedeutend. Es könnte auch ein
Kreis oder ein Viereck sein. Es ist ein Delta geworden. Ein Delta – das riecht
nach Hipster-Szene: nein, ganz gewiss nicht, beruhigen Joe, Gwil, Gus und
Thom. Es entstammt einem Songtext. Einem Wendepunkt-Songtext: Tessallate. Es
steht in der naturwissenschaftlichen Sprache für Veränderung oder viel eher für
Unterschied, für eine Differenz also. Möglich, immerhin hat sich der Name der
Band zweimal geändert seit ihrer Gründung 2007 – aber man kann auch
überinterpretieren. Anfangs war den vieren, so hört man, die Bedeutung des
Deltas noch nicht bewusst gewesen. Kunststudenten.
Namensgebend:
Tessallate
triangles are my favorite shape
| Dreiecke sind meine Lieblingsform
three points where two lines meet. | Drei Punkte, an denen sich jeweils zwei Linien treffen
toe to toe, back to back, let's go | Zeh zu Zeh, Rücken zu Rücken, lass uns gehen
my love it's very late. | Liebling, es ist sehr spät
'til morning comes, let's tessellate. | lass uns -------, bis der Morgen kommt
three points where two lines meet. | Drei Punkte, an denen sich jeweils zwei Linien treffen
toe to toe, back to back, let's go | Zeh zu Zeh, Rücken zu Rücken, lass uns gehen
my love it's very late. | Liebling, es ist sehr spät
'til morning comes, let's tessellate. | lass uns -------, bis der Morgen kommt
Lets
tessallate zu übersetzen ist wenig hilfreich: tessellieren. Man könnte sagen,
ein Mosaik anfertigen. Bausteine – zwei oder mehrere – so zusammensetzen, dass
sie möglichst wenig Freiraum zwischen sich lassen.
Wenn sich
zwei Menschen gleichzeitig am Rücken und an den Zehen berühren, beschreiben
ihre angewinkelten Beine ein Dreieck. Das widerspricht der ursprünglichen Tessallate-Bedeutung,
denn so verbleibt zwischen diese Menschen eben doch vergleichsweise viel Raum.
Dieses Paradox braucht nicht weiter in seine einzelnen bedeutungsschwangeren
Teile zerschnitten zu werden. Joes Text entstand, das entnehmen wir einem
Interview, aus dem Gedenken an eine verflogene Beziehung.
Andere
Interpretationen sehen Dreieckbeziehungen oder den geschlechtlichen Akt als
Thema. Andere Interpretationen leiten sich von der zweiten Textzeile ab: You’re
shark and i’m swimming – und sehen drei Menschen in einem Haifischbecken.
Bedeutungen stehen nicht fest. Wer sich ihr Album An Awesome Wave zur Hand nimmt und dadurch die
Dialekt-Nuschel-Texte endlich wörtlich versteht, wird den Worten
keinen klaren Sinn geben können. Und dann eben der Musik lauschen. Am liebsten
laut. Am liebsten Live.
Alt-J live in Berlin |
Als Vorband
spielte Alt-J letztlich auf der Deutschland-Tour von Two Door Cinema Club,
einer fleischgewordenen Discofox-Tanzstunde. Warum, das fragten die Menschen im
Radio während eines Interviews, habe eine Band, die doch soeben mit dem
bedeutendsten britischen Jury-Musikpreis, dem Mercury-Award, ausgestattet
worden sei, die Tour nicht abgesagt? – Alt-J könne die Konzerte dann entspannter
geben, lautete die Antwort. Immerhin seien sie dann nicht für die große Show
zuständig.
In Berlin,
im November, nahmen sie ihre Nebenrolle dann etwas zu ernst und spielten
scheinbar nur für sich, Publikumskontakt zwischen den einzelnen Titeln blieb
beinahe gänzlich aus. Genauso wie längere Blicke ins Publikum – dafür war der
Sound, wie zu erwarten, großartig. Am Schluss, der viel zu früh mit Taro, dem
nahezu einzigen Lied mit konkreter Textbedeutung, eintraf, hatten sie das
Publikum überzeugt.
Als Einstieg
ist das Album An Awesome Wave bei Soundcloud hörbar. Wer eine hochwertige
Konzertaufnahme wünscht, wird auf Youtube fündig: Alt-J at Melkweg – eine
Aufzeichnung aus Amsterdam.
Abschließend,
als die Hauptband ihr Spektakel abfeierte und ich meine Cola trank, besorgte
Gus, der Keyboarder, schlank, dunkles Haar, gestutzter Bart, seinen Jungs
irgendeines der härteren Alkoholika. Kein Stift zur Hand, kein Notizbuch in der
Hosentasche – aber ein Smartphone.
Mit Gus‘ bisher
futuristischstem Autogramm schließe ich, nicht ohne anzukündigen: Alt-J spielt
im Februar in Hamburg.