03 Juli 2012

Schon wieder Woody Allen?


– mögen Einige gedacht haben, als sie die Plakate gesehen haben. Von dem war doch auch dieses ‚Gott‘. Davon abgesehen: Spiel’s nochmal, Sam! ist doch schon verfilmt worden. Und das Stück selbst gibt es doch auch schon Jahrzehnte. Damit nicht genug, denn der Stoff greift ja erst recht auf uraltes, krisselliges Schwarzweißgeflimmer zurück, das noch zur Zeit des zweiten Weltkriegs gedreht wurde. Wir hören nicht auf, in der Vergangenheit zu kramen, denn das Thema muss mindestens so alt sein wie unsere Standesämter: Was ist zu tun, wenn man sich in die Frau des besten Freundes verliebt? Alles keineswegs neu und auf den ersten Blick so abgestanden, dass unsere auf Actionkino eingerasteten Unterhaltungsgewohnheiten mit einer Stauballergie reagieren wollen.

Einen Moment bitte! Aus irgendwelchen Gründen machen Heutzutage aber auch unheimlich viele Leute Schwarzweißfotos und posten sie bei Facebook, um zu zeigen, was sie grade machen. Dann freuen sie sich neben der ihnen zu teil werdenden Gefällt-mir-Reaktion gleichzeitig noch darüber, dass sie eine Reduktion ihrer Bildwelt auf Form und Fläche erleben dürfen. Sicherlich denken sie das. Wer als Künstler heute noch weiter gehen will, dreht als französischer Filmemacher gleich einen Stummfilm in – wer hätte es geahnt? – Schwarzweiß. Auf gleicher Ebene schrammelt ein junger Musiker aus San Francisco eine Platte zusammen, die ohne Umweg aus den 60er Jahren hier eingetroffen sein könnte. Es krächzt dissonant und könnte klanglich aus einer ähnlichen Zeit wie Casablanca stammen. Mr. Waterhouse, der Sänger, der die Reinkarnation von Buddy Holly sein könnte – samt Brille –, macht trotzdem, oder grade deswegen, Musik, die wir vielleicht – auch nur für die Länge einer LP – dem Hitradiobrei vorziehen. Stopp, warte mal! Was ist? Wer ist denn Buddy Holly? Für Euch alle, die das gleiche gedacht haben, ist jetzt die Zeit gekommen, Euren Musiklehrer des Vertrauens zu fragen.

Wir können uns nicht helfen. Der Rückgriff auf die Schwarzweiß-Zeit stärkt unser Vertrauen in die Authentizität des Werkes. Wir trauen den Schöpfern, die nur über vergleichsweise primitive Verarbeitungswerkzeuge verfügt haben nicht zu, dass sie uns mit aufwändiger Bearbeitung hinters Licht führen wollen. Was wir sehen, wurde gefilmt; was wir hören, wurde gesagt. Wer kann sich da heute in Musik und Film noch sicher sein? Eben. Also, Sam, spielen wir es noch einmal.
Den ersten Hinweis auf die Farblosigkeit des Stücks gibt uns das Bühnenbild. Ein schwarzes Sofa in der Mitte, weiße Schränke links, Humphrey Bogart aus Pappe in Lebensgröße links außen. Tisch und Stühle rechts; die Bar aus Casablanca rechts außen. 

Kurz nach 18 Uhr: es wird dunkel. Die entscheidende Szene am Schluss von Casablanca flimmert stilecht – abgespielt mit einer DVD, projiziert von einem Beamer – über den Bühnenhintergrund. Flimmern ist das falsche Wort. Dort läuft eben der Film. Wir kennen alle diese Szene: Rick lässt Elsa mit ihrem Mann Victor Laslo ziehen und ermöglicht den beiden sogar die lebensrettende Flucht aus Casablanca, obwohl Rick sie eigentlich liebt. Und sie Rick eigentlich auch liebt. Und ihren Mann dann nicht? Oder Rick nicht? Oder beide? Oder keinen? Das Ergebnis bleibt: er schickt sie weg und weiß, dass es für alle drei das Richtige ist, obwohl Elsa und er in Paris als Paar eine gute Zeit miteinander verbracht haben.
Kompliziert. Da kann man schon mal Kopfschmerzen kriegen. 

Bild reißt ab, Ton verstummt. Irgendjemand stoppt halt die Wiedergabe. Was halten die Theatermacher von einem alten klackernden Projektor… - nur so eine Idee.

Vierte Reihe im Publikum. Es steht jemand auf. Allen Felix, gespielt von Johannes Wittenberg. Er geht auf die Bühne und beginnt seinen Einführungsmonolog: Am Boden zerstört, von seiner Frau Nancy verlassen; Allen ist Neurotiker; sechs Aspirin am Tag sind auch keine Lösung. Abwechselnd schwindelt ihm sein Kopf die Anwesenheit seiner Exfrau, gespielt von Stella Lasaridu, und Humphrey Bogart vor, gespielt von Niclas Hartmann. Wieder erzählt Nancy ihm, warum sie ihn verlassen hat: Keine Liebe mehr, und körperlich auch nicht mehr so richtig. Etwas erleben und nicht immer nur ins Kino gehen! Allen geht als Autor für Filmkritiken gern ins Kino. Er trauert ihr nach. Bogart, stilecht mit Trenchcoat, Hut und Zigarette, ist da ganz anderer Ansicht: „Weiber sind primitiv. Ich bin noch keiner begegnet, die nicht ne kräftige Ohrfeige oder’n Schlag mit ner 45er kapiert hätte.“

Allen und sein Idol Bogart.

Huch? Klar, ich lache. Andere lachen auch. Was war das denn grade? Das 40er Jahre-Frauenbild aus der Sicht eines – nun heute würde man wohl Macho dazu sagen. Bogart und Nancy hausen in Allens Kopf. Er möchte so lässig und erfolgreich werden wie Bogart und Nancy am liebsten vergessen. Ihm ist egal, ob Bogart wirklich so ist oder ob er selbst einen Teil von sich dazutut, den er noch nicht kennt. Echte Hilfe kann er bei den beiden Hirngespinsten ohnehin nicht finden. Sein bester Freund Dick, gespielt von Fabian Rood, und dessen Frau Linda, dargestellt von Nia Sophie Herrmann, besuchen ihn. Eingeweihte können sich denken, was passieren wird, doch die folgende Szene, in der die Vorlieben des Tablettenkonsums zwischen Allen und Linda ausgetauscht werden, tröstet über eine durchsichtige Geschichte locker hinweg. Der Entschluss der beiden steht fest: Sharon, eine Bekanntschaft der Eheleute Christie, muss Allen aus seinem Leid erlösen. Bevor die vier zusammen ausgehen, erscheint ihm Sharon, die in Wirklichkeit ganz anders ist, in einem Traum. Diese Gastrolle füllt Katharina Holz aus dem Abiturjahrgang 2011 eindrucksvoll aus und ermöglicht eine weitere quasi unaussprechliche Textzeile, die aus dem Bogart-gefärbten Traum-Mund Allens fällt: „Entschuldige, dass ich dir eine knallen musste, mein Schatz, aber du wurdest hysterisch, als ich sagte: Schluss für heute.

Das Date mit Sharon, die von Corinna Lüer gespielt wird, nimmt ein unglückliches Ende und ist doch nur der Auftakt zu einer Odyssee durch Bars und Diskotheken. Zwischendurch rät ihm Bogart, männlich zu sein, zu trinken oder zu tanzen. Seine Befürchtung, dass er froh sein kann, wenn er eine Frau überhaupt auf einen Stuhl bekommt und ans Bett gar nicht zu denken sei, bestätigt sich. In diesem Abschnitt überzeugt das Stück durch einen breitgefächerten Humor, der das Publikum auch manchmal mit der Brechstange knackt, zum Beispiel durch Anmachsprüche wie diesen hier: „Na Praline, willst‘ ne Füllung?“ 

Insgesamt stecken die Dialoge voll von doppeldeutigen sexuellen Anspielungen, die junge Zuschauer bisweilen als eindeutig erachten. In diesem Zusammenhang ist es schade, dass an entscheidenden Stellen, an denen solche Assoziationen erst das Hirn des Zuschauenden durchdringen müssen, viel zu schnell beendet werden und die Handlung fortgesetzt wird. So bleibt wenig Zeit zum Lachen. Bei einer Spieldauer von einer Stunde und 35 Minuten ist die Geschwindigkeit passend. So behält das Stück seine Kurzweiligkeit. Doch zurück zur Handlung: Allen findet keinen Mittelweg. Erfolg bei der Partnersuche bleibt ihm verwehrt. Stattdessen kommt er Linda, der Frau seines besten Freundes Dick, näher und näher: Sie verzaubert ihn, als sie in ihrer Bar das Lied Casablanca singt, mit Begleitung durch Sam am Klavier, gespielt von Ralf Skowronski, der die musikalische Leitung zum wiederholten Mal übernommen hatte. Dick, ein junger Geschäftsmann, der 29jährig erst zweimal Insolvenz anmelden musste und am liebsten auf Facebook postet, was er grade macht oder wo er grade ist, sieht Linda vorrangig als Aushängeschild für sich selbst und tut sich auf Allens Ratschlag hin schwer, einmal wieder mit ihr auszugehen. Es kommt, wie es kommen muss: Linda sitzt zuhause auf Allens Sofa, neben Allen. Dick ist auf Geschäftsreise. Linda geht es schlecht. Die beiden sind allein. Fast allein. Bogart ist da und bemerkt, dass das zwischen den beiden „mit platonischer Liebe rein gar nichts zu tun“ habe und zieht an seiner Zigarette. Der sich nun zwischen drei Personen entspinnende Dialog, obwohl nur zwei davon real existieren, schafft die komischsten Minuten des Stücks: Bogart bringt Allen dazu, Linda zu küssen. Linda, die Frau seines besten Freundes. Es ist nicht so, dass er all seine Moral mitsamt ihrem Mantel an den Haken gehängt hätte, denn immerhin weiß er: „Mein Kopf sagt, es ist Wahnsinn, aber mein Herz sagt, glaube deinem Kopf nicht, er lügt.“ Als der nächste Morgen anbricht, wissen die Zuschauer, dass das Herz gewonnen hat.

Allen, Dick und Linda. Zusammen in Allens Wohnzimmer.

Schlussendlich läuft es auf das Ende von Casablanca hinaus. Dick liebt Linda nämlich doch. Allen liebt Linda auch. Linda liebt Dick ja ohnehin. Linda liebt aber auch Allen. Allen lässt beide ziehen und erwirbt sich damit sogar Respekt vor Bogart. Am allerbesten bringt er seine Entwicklung aber selber auf den Punkt, indem er zu seinem Idol sagt: „Das Geheimnis ist nicht Du, sondern ich zu sein. Wirklich, Du bist nicht grade groß und auch nicht besonders hübsch. Aber ich bin klein und hässlich genug, um selber Erfolg zu haben.“

Wenn man so überlegt – dieses Element fehlt in Casablanca. Da hat jemand, gespielt von Johannes Wittenberg, in etlichen Zeilen, manchmal sogar allein auf der Bühne, eine Entwicklung durchgemacht. Eine Entwicklung, die das Ich-Sein schließlich dem Ideal auf der Leinwand vorzieht, eigene Schwächen bejaht und Selbstbewusstsein gegen Angstneurosen eintauscht. Damit schafft es das Stück in unsere Zeit. Bei einer Medienlandschaft, die beherrscht wird von Deutschland sucht den Superstar, Germanys next Topmodel und etlichem, das an mir vorbeigegangen ist, wird es besonders den Heranwachsenden immer schwieriger gemacht, ein gesundes Selbstbewusstsein und Selbstbild aufrecht zu erhalten. In jenen Fernseh- oder Internetwelten passen die Begriffe „klein und hässlich“ und „Erfolg“ nicht zueinander. Allen konnte sie vereinen und damit die rein mediale Bevormundung ausschalten, denn Bogart war in seiner Rolle des Rick in Casablanca nichts anderes als eine mediale Erscheinung, die ihn manipuliert hat.

Genug davon. Das Stück wurde Ende Juni aufgeführt und hatte drei Monate Vorbereitungszeit. Besonders nach dem Abitur, wenn man als Lehrer und Abiturient auf eine erholsamere Zeit hofft, können wir die Leistung, dieses umfangreiche Stück auf die Beine gestellt zu haben, nur loben. Schade: Während beider Aufführungen hätte jemand rufen können: Michelsenschüler, wo seid Ihr? Und nur vereinzelt wäre ein Hier! zurückgekommen. Die Zielgruppe hat möglicherweise derweil bei Facebook gelesen, was Dick grade macht, oder stand auf der Waage.

Potenzielle Zuschauer, die erst im Nachhinein auf den Geschmack gekommen sein sollten, werden sich über die schriftliche Länge des Stücks von 22 Seiten erstaunt zeigen, wurden sie doch zu eher ungleichen Teilen auf elf Rollen und neun Schauspieler aufgeteilt. Corinna Lüer nämlich musste in gleich drei verschiedene Frauenrollen schlüpfen. Der Sprachwitz des Stücks geht natürlich mit einer gewissen Textlastigkeit einher. Nur so erklärt sich seine Fülle an Wortwitz, der man sich erst bei mehrmaligem Zuschauen gewahr wird. Ebenso sollte sich niemand in Anbetracht von so viel Mono- und Dialog darüber wundern, dass zwischen der Sonntags- und der Mittwochsvorstellung leichte Unterschiede im Spiel eingeschlichen haben. Eher sollten wir diese Ungenauigkeiten als Beweis dafür nehmen, dass der absolut linear angelegte Plot für die Schauspieler eine große Herausforderung war. Jeder, der sich schon einmal im Darstellenden Spiel versuchen durfte, wird meine Ansicht teilen.

Die Spielzeit 11/12 des Michelsentheaters neigt sich hiermit nun auch dem Ende zu – und außer mir denken bestimmt noch viele Andere: Spielt’s nochmal!