Wer durch Zufall über sie stolpert, findet ein Foto von fünf
jungen Männern im Jackett. Als Hintergrund des Internetauftritts dient Omas
Tapete, während ein Grammophon das Grundmotiv fürs Band-Logo bildet. Außerdem
stößt der geneigte Musikforscher auf ein Video, in dem Jonas, Clemens, Simon,
David und Tobias die Freundschaft besingen: eher poppig, eher mit schon
ziemlich guter Laune, eher auf Englisch, das Deutsche Ohren mühelos verstehen,
eher eine Band aus dem Norden – unmissverständlich, das wird klar, wenn die
Insel Rügen und das Getränk Jever im Clip auftauchen.
Sie nennen sich Concerted und kommen aus Lübeck. Streifzüge
durch Youtube und Soundcloud bringen in Zeiten der Reizüberflutung nur
unbefriedigende Suchergebnisse. Auch unser letzter Strohhalm, Amazon, findet
nichts. Bei einer intensiveren Lektüre der Internetpräsenz fällt auf: Concerted
sind reichlich exklusiv für ihr Alter. Das muss man den Anfang-Zwanzigern von
vornherein zugute schreiben. Damit ihr Début-Album FLOW WITH THE SOUL den Weg
zum heimischen Briefkasten findet, muss schon persönlicher Mailkontakt zu einem
der Bandmitglieder herrschen.
Fündige seien trotz dieser Holprigkeiten in der
Datenträgerbeschaffung und ob des persönlichen Kontakts zur Band enttäuscht,
denn heute ist man nicht mehr der erste Concerted-Hörer. Das jedenfalls belegt
die übersichtliche Sammlung von Pressestimmen auf der Homepage. Da ist von Kaufbefehlen
und süßem Optimismus die Rede, von feinem Pop und Jazz mit Funk. Jeweils
prisenweise.
Nein, es nützt nichts, wir müssen die CD schon einlegen, die
Musik schon hören, die schriftsprachliche Genre-Einordnung jetzt zurückstellen
und das Ohr hören lassen. Und nach ein, zwei, drei Musikstücken, wenn die
vergleichsweise seichte Einleitung mit Friends schon lange abgeklungen ist,
fällt den Zwanzigjährigen Zuhörern zwischen besonders angenehmen Saxophon- und Klavierklängen,
die gerne auch durch Arrangements mit einer akustischen Gitarre abgelöst
werden, auf, dass die absolute Zeitgenossenschaft zu den Musikern etwas ganz
besonderes überzeugt: Identifikation.
In Love ist neben Friends das einzige bei Youtube
veröffentlichte Musikstück von Concerted. Es erzählt die Geschichte von einem
verliebten jungen Mann, der sich trotz lauter Träumerei mit der Realität abfinden
muss: Sie interessiert sich nicht für ihn. Wer die Musik weniger über den Text
begreifen möchte, findet hier für vier Minuten einen entspannten Lounge-Sound.
Zwischen exzessivem Gitarrenspiel und Sprechgesang lagert
Farewell eine universelle Botschaft, die es bis zum Titelslogan des Albums
gebracht hat. Zur Geschichte: der Abschied von zuhause; einem zuhause, das wir
als heimatlich und beschützend empfinden. Da will jemand nicht gehen – und das
singt er auch. Er hat keine Wahl, ihn ziehen ganz besondere Kräfte an einen
neuen Ort. Wir sollen es ihm gleichtun: Flow
with the soul of the universe lautet die Aufforderung. Aber wie schwimmt
man mit der Seele des Universums? Und was ist die Seele des Universums?
Schaffen wir uns zu allererst Klarheit darüber, wovor uns diese
Lebensausrichtung bewahren soll: der Fluss als sich permanent wandelndes Medium
darf als Synonym für den Menschen begriffen werden, der eben nicht in jungen
Jahren schon zum Konservator werden darf, sondern die Lebensstufen im Sinn von
Hermann Hesse frohen Mutes emporsteigt. Schwieriger wird es bei der Seele des
Universums. Eine Assoziation mit dem Sinn
des Lebens sei erlaubt, aber wer an die Eintracht des Großen und Ganzen
dabei denkt und sich ein harmonisches Bild allen Seins vorstellt, könnte
genauso richtig oder falsch liegen. Die Aufforderung bedarf immer – und so viel
steht fest – eines gewissen Anteils aus dem Weltbild des Empfängers, ohne den
sie wertlos wäre. Auch nicht auszuschließen ist: Geh doch Deinen Weg, den das
Universum für dich vorgesehen hat! Mir ist diese Sichtweise zu deterministisch,
aber wenn man sich vom Strom des Universums treiben lassen soll, wird das
Subjekt zur Passivität aufgefordert, aufgefordert auch dazu, sich den
undefinierbaren Kräften zu beugen und keinen Widerstand zu leisten.
Schlussendlich bleibt für den Moment aber nur die permanente Veränderung aller
Umstände, symbolisiert durch den Fluss, dessen Ziel wir nicht ausmachen können,
wenn wir uns von ihm treiben lassen. Ein Schritt in Richtung Einklang mit dem
Kosmos? Warum nicht!
Concerted bleibt in der Bewegung: In Walking geht das
lyrische Ich einen Weg. Jazzig erzählt, mit einer großen Portion Entschlossenheit,
Feingefühl und dennoch ohne Kitsch. Der Stoff ist darüber hinaus so
facettenreich, dass sich mehrere Versionen des Liedes anbieten. Ich erwarte
Walking III und IV. Doch zum Inhalt: jemand geht, nur, um davon eine Pause zu
machen, nur, um danach weiterzugehen. Währenddessen braucht er weder Freunde,
noch hat er Feinde, möchte nichts hören und läuft Barfuß, mit der Erde
unmittelbar verbunden. Daraus zieht das lyrische Ich einen positiven Schluss:
es macht sich nicht zum Idioten, wie all die anderen. Wieso sind wir denn in
seinen Augen Idioten? Lieddichter Jonas Nay kommt nicht umhin, uns die Antwort
auf die Nase zu binden: Wir geben Geld für Zugreisen aus und fahren Autos. Die
Person in seinem Text hat weder ein Auto, noch Geld für den Zug und läuft sogar
bei Regen, tags wie nachts. Damit lebt sie absolut entschleunigt und beruft
sich auf einen naturnahen Zustand.
Verzicht auf
Luxus
Verzicht auf
Schuhe
Verzicht auf
Gesellschaft
Verzicht auf
Zeitmessung
Verzicht auf
Geschwindigkeit
Verzicht auf
Zwischenmenschlichkeiten
Resümiert: Walking ist die Rückbesinnung auf das Selbst, die
Askese und fetischisiert den Weg als Ziel. Unterwegssein reicht sich selbst für
ein erfülltes Dasein aus.
And I beginnt mit akustischem Gitarrenspiel, zu dem sich ein
Klavier gesellt. Der Inhalt des Songs steht im Gegensatz zur Einsamkeit von
Walking. Die Suche nach einem gleichgesinnten
Menschen ist zentrales Thema. Concerted werden hier autobiografisch und stellen
sich vor, dass ihr lyrisches Ich mit einer Person in Kontakt kommt –
vorzugsweise weiblich – , die genau so gern Musik macht und genau so gern ihre
Zeit in der Natur verbringt; auf der Suche nach Freiheit. Das Resultat: Beide
lassen ihre Musik zusammenfließen, beide fühlen sich zuhause, keiner der beiden
ist allein. Damit nimmt And I das Heimatsthema aus Farewell wieder auf. Hat
dort das Individuum zugunsten des dauerhaften Flusses seine Heimat aufgegeben,
findet es in And I sein Zuhause wieder, das weniger mit einem Ort, als vielmehr
mit einem Mitmenschen verknüpft ist, der ein gemeinsames Schaffen, ein
gemeinsames Glück ermöglicht.
Technisch bringen die fünf Jungs aus Lübeck ihre Musik auf
den Punkt. Der Zufall als kreativer Faktor scheidet bei diesem Studioalbum
erwartungsgemäß aus, denn alle Bandmitglieder sind professionelle Musiker, für
ihr Können ausgezeichnete Preisträger und Soundforscher. Das erzeugt einerseits
überzeugenden Pop, der mit Funk- und Jazzeinflüssen für eine eigene Note sorgt
und durch Simon Kühls teilweise vom Soul geprägten Saxophonstil aufgebrochen
wird; andererseits muss sich die technische Perfektion dem Vorwurf aussetzen,
dass sie den Klang bisweilen auch rund schleift und dort steril erscheinen lässt,
wo der Zuhörer insgeheim auf dreckige Klangextasen hofft.
Wer auf den Geschmack gekommen ist und wem das Début-Album
und die zurückhaltende Präsenz im Internet nicht ausreichen, kann das nächste
Concerted-Konzert im August in Lübeck besuchen. Die Termine sind rar gesät,
Concerted spielt ausnahmslos in den nördlichen Teilen der Republik. Würden sie
ihre livemusikalischen Aktivitäten auf größere Teile des Bundesgebietes ausweiten,
ist den fünf Musikern eine weitreichende Bekanntschaft ihres Bandprojekts sicher.
Das lässt hoffen: Während eines Radio-Interviews im April lies Jonas Nay
wissen, dass die Band derzeit an ihrem zweiten Album arbeite. Ich bin gespannt –
und dann gewiss ein Ersthörer.